Kanton Genf: Menschenhandel - Rückblick auf die BTPI-Konferenz

Am 18. Oktober findet der Europäische Tag gegen Menschenhandel statt. Aus diesem Anlass finden in der ganzen Schweiz während der Monate Oktober und November zahlreiche Aktionen statt.

In diesem Rahmen organisierte die Brigade zur Bekämpfung des Menschenhandels und der illegalen Prostitution der Genfer Kantonspolizei (BTPI) im Vorfeld eine Konferenz zum Thema «Loverboys». Die Konferenz fand am 13. September 2023 statt, an der über 140 Personen mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund teilnahmen, die alle im Kampf gegen den Menschenhandel tätig sind. In dieser Pressemitteilung werden die wichtigsten Ergebnisse der Konferenz zusammengefasst.

Die Genfer Polizei ist mit der kriminellen Problematik der Loverboys befasst und engagiert sich besonders im Kampf gegen den Menschenhandel. Um dieses Phänomen zu thematisieren, Informationen zu verbreiten und ihr Partnernetzwerk auszubauen, organisierte die Brigade zur Bekämpfung des Menschenhandels und der illegalen Prostitution (BTPI) am Mittwoch, den 13. September, mit Unterstützung des Departements für Institutionen und Digitales (DIN) eine Konferenz, an der über 142 Personen teilnahmen. Der berufliche Hintergrund der Gäste war vielfältig: Vertreter der lateinischen und ausländischen (rumänischen, französischen und belgischen) Kantonspolizeien, Mitglieder der schweizerischen und internationalen Justiz sowie mehrere staatliche Stellen, Vereine, internationale Organisationen oder auch Westschweizer Stiftungen, die sich mit der Problematik befassen, nahmen an diesem Informationstag teil.

Eröffnungsworte der Polizeidirektion

Die Kommandantin der Polizei, Frau Oberst Monica Bonfanti, eröffnete den Informationstag mit ihrer Begrüssungsansprache. Sie wies darauf hin, dass die Konferenz im Rahmen der Aktionen zum Europäischen Tag gegen Menschenhandel stattfand. Die Kommandantin dankte der BTPI sowie den an der Konferenz teilnehmenden Genfer, Bundes- und internationalen Akteuren für ihr Engagement bei der Verfolgung, dem Schutz, der Sensibilisierung und der Zusammenarbeit im Bereich der Bekämpfung des Menschenhandels.

Die BTPI ist auf Genfer, nationaler und internationaler Ebene besonders aktiv.

Auf Genfer Ebene trägt sie zum Mechanismus der Verwaltungszusammenarbeit gegen Menschenhandel bei, einer Art rundem Tisch, der regelmässig alle von der Problematik betroffenen Akteure zusammenbringt: kantonale Strafverfolgungsbehörden, staatliche Stellen, Akteure aus Vereinen und Gewerkschaften sowie Bundesbehörden.

Auf nationaler Ebene stellt die BTPI ihr Fachwissen und ihre Erfahrung den Kantonspolizeien zur Verfügung, die grundsätzlich Interesse an der von ihr geleisteten Pionierarbeit zeigen.

Der Erfolg hängt von drei grundlegenden Zutaten ab: Information dank des aufgebauten Netzwerks, Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen und schliesslich die Leidenschaft all derer, die Tag für Tag daran arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Situation in Rumänien

Frau N., ehemalige rumänische Staatsanwältin, und Frau H., Polizeiinspektorin bei der Direktion für die Ermittlung von organisiertem Verbrechen und Terrorismus (DIICOT) in Rumänien, begannen gemeinsam mit der Präsentation. Sie begannen ihre Präsentation mit einer Kontextualisierung des Themas und ordneten es dann in den rumänischen Rahmen ein. Das Phänomen breitet sich in ihrem Land und über die europäischen Grenzen hinweg aus.

Loverboys» – was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Loverboys werden oft als Männer dargestellt, die eine Beziehung zu ihren Opfern aufbauen. Sie verführen ihre oft hilflosen Opfer, misshandeln sie und überreden sie dann, sich zu prostituieren, insbesondere im Ausland. Anschliessend treten sie ihr gesamtes Einkommen an die Prostituierten ab. Zwar kann auch Gewalt angewendet werden, doch wie Zuhälter versuchen auch Loverboys, eine Beziehung zu ihren Opfern aufzubauen. Diese Beziehung wird in einem organisierten und schrittweisen Prozess aufgebaut. Sie wenden Manipulations- und Dominanzstrategien an. Sie gaukeln dem Opfer eine Liebe vor, die auf emotionaler Abhängigkeit oder Einflussnahme beruht.

Es ist nicht einfach, ein typisches Profil dieser Opfer zu erstellen. Einige kommen aus prekären Verhältnissen, aus zerrütteten Familienverhältnissen und haben körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides erlebt. Andere kommen aus besseren Verhältnissen und haben einen Hochschulabschluss. Alle haben jedoch einen emotionalen Mangel und den übergrossen Wunsch, sich ein bequemes Leben mit einem geliebten Menschen aufzubauen. Um dies zu erreichen, sind sie bereit, sich zu opfern. Dann werden die Opfer nach und nach von der sozialen Welt abgeschnitten. Das hat für die Loverboys den Vorteil, dass sie zum Mittelpunkt ihrer eigenen Welt werden und nicht mehr mit ihrem Umfeld in Verbindung stehen, was zu einem Bruch der Bindung führen könnte. Sie versprechen ihnen, dass sie mit dem Geld, das sie verdienen, ein Haus bauen, in Luxus leben und das Glück finden können, das sie sich beide wünschen. Sie müssen Opfer bringen, damit sie beide dieses Glück erreichen können. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Diese Masche wird bei mehreren Mädchen gleichzeitig angewendet, ohne dass sie daran zweifeln können. Der Loverboy wird jede Banktransaktion oder Nachricht vermeiden, die ihn bei der Ausführung seines Verbrechens gefährden könnte. Letztendlich wird das Opfer des Loverboys das versprochene Geld, das Haus und den Luxus nie sehen und es wird schwierig sein, seine Ausbeutung zu beweisen.

Warum sollte man die Schweiz wählen?

Die Schweiz gilt als Traumziel für Mädchen, die glauben, dass es dort viele Millionäre gibt, aber auch für Loverboys, die glauben, dass es dort mehr Geld zu verdienen gibt. Unser Land inspiriert sie zu Reichtum. Für die Mädchen hoffen sie, Sicherheit und vor allem die Möglichkeit zu finden, sich aus ihrer Situation zu befreien, indem sie einen seriösen Kunden treffen und letztendlich ein gutes Ergebnis erzielen.

Aus der Sicht von Vereinen

In der zweiten Hälfte des Vormittags sprach Frau M., eine rumänische Aktivistin im Kampf gegen den Menschenhandel und Gründerin des Vereins «Reaching Out Romania», der minderjährige Opfer aufnimmt, insbesondere über die in ihrem Land, in Rumänien, eingesetzten Präventionsmittel.
In Rumänien organisiert die nationale Agentur zur Bekämpfung der Ausbeutung von Menschen bereits in der Grundschule Treffen in Schulen. Sie unterstützt die Opfer und hilft ihnen bei rechtlichen Schritten, wenn sie bereit sind, ihren Loverboy anzuzeigen. Da die Mädchen jedoch immer jünger ausgewählt werden, manchmal schon im Alter von 13 Jahren, und nicht mehr zur Schule gehen, ist es schwierig, sie vor der Gefahr zu warnen, die auf sie lauert, und sie aus diesen manchmal sehr gut organisierten Netzwerken herauszuholen. Wie soll man einem jungen Mädchen verständlich machen, dass es sich «nicht verlieben» oder gar «ins Ausland ziehen» soll? Das ist der Traum einer jeden und da das rumänische Bildungssystem sehr restriktiv ist, halten sich die Mädchen nicht an die Präventionsratschläge. Bildung, sowohl für Mädchen als auch für Jungen, scheint der Schlüssel zu sein, ist aber in gefährdeten Gemeinden sehr schwer umzusetzen.

Erschütterndes Zeugnis eines Opfers eines Loverboys

Der frühe Nachmittag war geprägt von der Aussage eines Opfers. Vor vielen Jahren geriet sie in die Gewalt eines Loverboys. Mit ihrer mutigen Rede zeichnete sie ihren persönlichen Werdegang und die Schwierigkeiten nach, die sie im Milieu der Prostitution erlebt hatte. Frau D. stammte nicht aus einem benachteiligten Umfeld und hatte ein recht hohes Bildungsniveau. Als sie in sozialen Netzwerken auffiel, war sie noch keine 20 Jahre alt. Ein junger rumänischer Mann nutzte alle möglichen Tricks, um sein Opfer in die Falle zu locken. Schnell in seinen Bann gezogen und geblendet von dem Versprechen einer vielversprechenden Zukunft, gab sie den Forderungen nach und stimmte zu, ins Ausland zu reisen, um dort als Prostituierte zu arbeiten. «Es war, als wäre die Dressur vollendet», sagt sie. Zunächst in Österreich, England und dann in der Schweiz erlebte Frau D. die Hölle der Nachtbars, wo sie nach dem Rausch akzeptieren musste, mit dem Kunden für eine bezahlte Leistung zu «reiten». Frau D. wurde geschlagen und gedemütigt und konnte sich an dem Tag glücklich schätzen, als sie von der Verhaftung ihres Loverboys in Genf erfuhr. Dies setzte ihrem Martyrium ein Ende und gab ihr die Hoffnung, dass sie sich aus der Situation befreien konnte.

Erst eineinhalb Jahre später war Frau D. in der Lage, der Polizei ihre Aussage zu machen. «Man lügt sich selbst an, man traut sich nicht zu sagen, dass man ein Opfer ist. Erst wenn man sich dessen bewusst wird, kann man weitergehen».

Welche Rechtsanwendung ist auf Schweizer Ebene für die Behandlung von Loverboy-Fällen vorbehalten?

Frau Staatsanwältin Alexandra Sigrist vermittelte dem Publikum mit ihren Ausführungen einen Einblick in die Rechtsanwendung bei Verfahren. Wenn zwei Artikel in Frage kommen, nämlich Artikel 182 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) betreffend Menschenhandel und Artikel 195 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) betreffend Förderung der Prostitution, müssen die Elemente, aus denen sie bestehen, nämlich Handlung, Mittel und Zweck, klar und stufenweise definiert werden.

  • Durch Aktion: Anwerbung, Transfer, Logistik ;
  • Nach Mitteln: Täuschung über Gefühle, Ausnutzung der Verletzlichkeit, insbesondere finanzieller Art, Manipulation, Wucher, Drohungen, Erpressung, Gewaltanwendung;
  • Nach Zweck: Ausbeutung der Prostitution und Bereicherung auf Kosten des Opfers.

Die drei wichtigsten zu untersuchenden Fragen sind:

  • Warum ist das Opfer in die Schweiz gekommen?
  • Warum ist das Opfer in der Schweiz geblieben?
  • Wo befindet sich das Geld?

Wenn sich in jeder Antwort die Rolle des Loverboys wiederfindet, dann ist eine Strafverfolgung mit all ihren Schwierigkeiten erforderlich, wie z. B. :

  • Erlangung einer Anzeige oder einer Zeugenaussage des Opfers ;
  • Notwendigkeit, das Opfer mit dem Beschuldigten zu konfrontieren;
  • Belehrung des Beschuldigten mit Be- und Entlastungen ;
  • Anwesenheit des Opfers während der gesamten Untersuchung ;
  • Seltenes Geständnis des Angeklagten ;
  • Drohungen und Druck seitens des Beschuldigten oder seines Umfelds ;
  • Sammlung anderer be- oder entlastender Beweise.

«Menschenhandel ist moderne Sklaverei. Das Opfer wird zu einer Ware degradiert».

Schlussworte des Leiters der Kriminalpolizei und des DIN

Der Leiter der Kriminalpolizei, Herr Richard Boldrini, bedankte sich für die Beteiligung der BTPI an der Organisation dieser Veranstaltung, deren Ziel es gewesen sei, den Informationsfluss zu verbessern und das Netzwerk der Partner zu erweitern. «Jeder besitzt einen Teil der Wahrheit, wenn wir nicht alle zusammenarbeiten, werden wir es nicht schaffen, die Verbrecher zu verhaften und die Opfer zu schützen».

Er begrüsste die Teilnahme von Vereinen wie ASPASIE, ACT212, CSP (Centre social protestant), PERLA, ASTREE oder Au Coeur des Grottes, aber auch von akademischen Kreisen, der Justiz, dem Kanton und der schweizerischen und ausländischen Polizei, die alle zu diesem Willen gehören, sich im Kampf gegen diese Geissel zu vereinen.

Die gemeinsame Genfer Kriminalpolitik und der Nationale Aktionsplan gegen Menschenhandel (NAP 2023 – 2027), dessen letzte Fassung am 16. Dezember 2022 vom Bund veröffentlicht wurde, bestätigen eine echte Mobilisierung der politischen und juristischen Behörden.

Seit 2019 haben Republik und Kanton Genf ein kantonales Gesetz verabschiedet, das einen Beitrag zum Opferschutz leisten soll und über das der Grosse Rat am 22. März 2019 abgestimmt hat. Es soll die Konsistenz und Verlässlichkeit der Interventionen gewährleisten THB. Ziel ist es, sicherzustellen, dass von Menschenhandel betroffene Menschen Zugang zu den Ressourcen des Netzwerks von Institutionen haben, die in diesem Bereich tätig werden sollen.

Darüber hinaus wurde unter der Führung des Genfer Staatsrates eine strikte Anwendung des Prostitutionsgesetzes und seiner entsprechenden Vorschriften umgesetzt, um Massagesalons in Privatwohnungen zu legalisieren.

Darüber hinaus haben im Rahmen des ACPJS, dem Schweizer Verband der Köche PJ, auch wenn die kantonalen „Realitäten“ heterogen sind, alle Führungskräfte das Mass der Sache erfasst und sind sich der Notwendigkeit bewusst, die jeweiligen Systeme, Kooperationen und zu stärken Schulung des Personals, um Opfer zu erkennen, sie zu schützen und ihre Peiniger bestmöglich zu unterdrücken.

Was die Aufdeckung von Opfern und Menschenhandelsnetzwerken betrifft, ist der Leiter der Kriminalpolizei weiterhin davon überzeugt, dass alle Kriminalpolizeien ihre operativen Aktivitäten, wie die BTPI-Patrouille, ausbauen sollten.

„Meiner Meinung nach müssen die für diese Art von Mission eingesetzten Inspektoren mit dem Feld in Kontakt sein. Den Puls der Strasse spüren. Informationen sammeln. Vertrauen aufbauen und sich gleichzeitig der hohen Risiken einer Kompromittierung in diesem Bereich bewusst sein. Ausserdem muss eine… Durch ihre Sichtbarkeit wird ein gewisser „Druck“ ausgeübt. Diese Mission ist nicht im Amt erreichbar.“

Abschliessend schloss Frau Carole-Anne KAST, Staatsrätin und zuständig für die Abteilung Institutionen und Digital, den Tag mit folgenden Worten:
„Als für Sicherheitsangelegenheiten zuständiger Magistrat begrüsse ich die Durchführung dieser Konferenz auf Initiative von Genfer Polizeibeamten, die sich für die Sache engagieren und sich täglich aktiv im Kampf gegen den Menschenhandel engagieren. Dieses Treffen trägt zur Stärkung von Partnerschaften bei der Erfahrungsaustausch im Bereich der Prävention sowie der Bekämpfung von Loverboys. Er steht im Rahmen der Massnahmen, die der Dritte Nationale Aktionsplan gegen Menschenhandel 2023-2027 vorsieht. Angesichts der grossen Zuhörerschaft heute Ich bin davon überzeugt, dass dies einer echten Nachfrage entspricht […]“
„Allerdings gibt es in diesem Bereich, der zu meinen Prioritäten gehört, noch viel zu tun. In dieser Legislaturperiode wird der Staatsrat der Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Familienangehörige besondere Aufmerksamkeit widmen.“ Gewalt (Istanbul-Konvention) als Teil der Opferfürsorge […]“

Der Applaus und die Begeisterung des Publikums am Ende der Konferenz spiegeln den Erfolg dieses informativen Tages wider.

 

Quelle: Kapo Genf
Bildquelle: Kapo Genf

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